Altmeppen russische Uhren

01. 11. 2017 – Museum „Lichter Moskaus“:  „Kalender und Uhren“

 

Johannes Altmeppen  /  Moskau, 1. November 2017

Ich danke dem „ОГНИ  МОСКВЫ“ und seiner Direktorin, Natalia Potapowa, dafür, dass ich heute hier reden darf.

In diesem Jahr, 2017, feiern wir in Russland zwei runde Jubiläen:

  • Die „Oktober-Revolution“ am 25.Oktober / 7. November 1917
  • Den Start des ersten Weltraum-Satelliten, „Sputnik I“ am 4. Oktober 1957

Ich werde auf beide Ereignisse eingehen.

 

Vom Umgang mit der Zeit

 

1. Gedanken zur Zeit

„Zeit“ ist etwas Magisches.
Als Kind vergingen die Minuten wie Stunden – wir wollten doch gerne schon groß sein.
Im Alter galoppiert die Zeit – wir möchten sie gelegentlich gerne zurück drehen.
In der Hektik des Alltags im Beruf lassen wir uns oft, zu oft, von den Zeigern der Uhr wie von Peitschen antreiben.

Dabei könnte alles so einfach sein, denn „Zeit ist ein Geheimnis – wesenlos und allmächtig“. (Lomonossow)

 

Altmeppen russische Uhren - Sonnenuntergang
Sonnenuntergang

 

Wir leben in einem „Kontinuum von Raum und Zeit“.
So hat es bereits der griechische Philosoph Aristoteles formuliert.
Und dieses Kontinuum liegt auch der Relativitätstheorie von Alber Einstein zugrunde.

Wir können nicht an der „Schraube der Zeit“ drehen.

Es gibt Sprüche, die sicherlich gut gemeint sind.
Aber sie verkennen das Kontinuum.:

–  „Ich schenke Dir eine Stunde meiner Zeit “

–  „Du stiehlst mir meine Zeit“

–  „Ich renne der Zeit hinterher“

–  „Wir haben eine Stunde gewonnen“

Zeit kann man nicht verschenken, nicht stehlen und auch nicht gewinnen.
Man kann sie nur so oder so nutzen.

Aber wir sind Menschen. Wir versuchen, uns die Zeit untertan zu machen.
Wir wollen die Zeit beherrschen, sie messen, sie in ein Schema pressen.

Für unsere Väter und Großväter war die Uhr noch etwas ganz Besonderes. Und oft wurde sie mit einer persönlichen Widmung als Anerkennung für besondere Leistungen wie ein Orden verliehen.
Die Jugend von heute trägt keine Uhr mehr. Wenn sie wissen will, wie spät es ist, schaut sie auf das Smartphone.

In unserer digitalen Welt dreht sich alles immer schneller.
Ich möchte heute statt einer „Be-Schleunigung“ ein wenig „Ent-Schleunigung“ in unsere hektische Welt bringen.
Ich möchte zurückblicken und Anregungen geben.

 

2. Frühe Zeit-Maße

Wir messen nicht die „Zeit“, sondern Abläufe und Veränderungen.
Die Zeiger der Uhr  –  Sekunde, Minute, Stunde  –  sind ein willkürlicher Maßstab.
Wir nennen es „Zeit“.
Einstein nannte es eine „hartnäckige Illusion“.

Aber eine Welt ohne Illusionen ist eine arme Welt.

In den frühen Tagen der Menschheit bestimmte die Natur mit ihren Zyklen das Leben.
Tag und Nacht, Sonne, Mond und Sterne, Sommer und Winter, Monsun und Trockenheit, Ebbe und Flut bestimmten den Lebensrhythmus.

Man lebte in der Natur und mit der Natur.
Der Stand der Sonne und der Schatten, den sie warf, waren das Maß der Zeit.
Sie bestimmten das soziale Leben, das im Sommer doppelt so lange währte wie im Winter.
Die Dunkelheit war zeitlos.

Jeder Ort hatte seine eigene Zeit.
Denn jeder Ort hatte sein eigenes natürliches Umfeld – im Gebirge oder an der Küste, in der Steppe oder an einem großen Fluss.
Die Erde war der Mittelpunkt der Welt.
Die Sonne drehte sich um die Erde.

In den frühen Hochkulturen gab zwar schon Kalendarien, aber bis zu unserer Zeitenwende war Zeit in erster Linie der Zusammenhang von Erlebnissen, Erfahrungen und Regierungszeiten:
„Das war damals, als Oma sich den Arm gebrochen hat“
oder:
„In dem Sommer, als die große Flut das Dorf weggerissen hat“.

 

3. Kalender

Kalendarien beginnen die Zeitrechnung mit einem historischen Ereignis.

–  Im „Alten Rom“ hat es viele unterschiedliche Kalendarien gegeben.

– Es waren die Regierungszeiten der Konsuln,

– dann die Einweihung des Jupiter-Tempels im Jahr 507 v. Chr.

– und erst später wurden die Jahre ab Gründung der Stadt (ab urbe condita) im Jahre 753 v. Chr. gezählt.

– …Die Erschaffung der Welt

> „Chronicon Paschale“       >  1. September 5508 v. Chr.

> Martin Luther                    >  3970 v. Chr.

 

Altmeppen russische Uhren - Luther Chronologia
Luther Chronologia

 

> John Lightfoot                   >  12. September 3928 v.Chr,

–  Islamischer Kalender

> Mohamed von Mekka nach Medina > 622
(Mond-Kalender mit 29/30 Tagen 11 Tage kürzer als Sonnen-Jahr)

 

4. Kalender-Reformen

Unsere heutige Zeit-Rechnung in Jahren vor und nach Christi Geburt geht zurück auf eine „Kalender-Reform“ des Skytischen Mönch Dionysius Exiguus (etwa 470 bis 545).

Diese Kalender-Reform war ein wesentlicher Schritt hin zu einer internationalen Zusammenarbeit der Staaten.
Jeder Staat musste selbst entscheiden, ob er diesem Kalender folgen wollte oder nicht. Und es hat im „alten Europa“ mehr als 500 Jahre gedauert, bis er sich durchgesetzt hat.

In Russland galt bis zur Kalenderreform von Peter I. im Jahr 1700 der Byzantinischen Kalender („Chronicon Paschale“).
Gezählt wurden die „Jahre seit Erschaffung der Welt“ –
am 1. September des Jahres 5508 vor unserer Zeitrechnung.

Peter I. führte den „Julianischen Kalender“ ein –
auf den 31. August des Jahres 7209 folgte der 1. Januar 1700.

Lenin hat dann den „Gregorianischen Kalender“ eingeführt –
auf den 31. Januar 1918 folgte der 14. Februar 1918.

 

Altmeppen russische Uhren - St. Petersburger Zeitung, Januar 1903
St. Petersburger Zeitung, Januar 1903
Altmeppen russische Uhren - Kalender 1919 1
Kalender 1919 (1)
Altmeppen russische Uhren - Kalender 1919 2
Kalender 1919 (2)

 

Damit war die kalendarische Einheit in ganz Europa erreicht.

In Russland hat diese Reform jedoch zu einer Spaltung geführt:
Die Russisch-Orthodoxe Kirche lehnte diese Kalender-Reform ab. Sie blieb bei dem alten Kalender.
Dadurch „wanderte“ der 1. Weihnachtstag vom 25. Dezember auf den 7. Januar.

Mit dem selben Zeit-Sprung „wanderte“ der Tag der Oktober-Revolution vom 25. Oktober auf den 7. November.

Lenin verfolget mit seiner Kalender-Reform – so kurz nach der Oktober-Revolution – auch ein sehr prophanes Ziel:
Die russischen Arbeiter in Moskau sollten den „Tag der Arbeit“, den 1. Mai, am selben Tag wie die Arbeiter in Berlin, Paris und London feiern können.

Stalin hat im Oktober 1929 seinen Revolutions-Kalender“ eingeführt.
Er wollte sich von der Kirche lösen und den „heiligen Sonntag“ abschaffen.

 

Altmeppen russische Uhren - Oktober 1929 bis September 1930
Oktober 1929 bis September 1930
Altmeppen russische Uhren - 1930
1930

 

  • Für die Zeit vom Oktober 1929 bis 1932 führte er ein „5-Tage-Arbeitswoche“ und fünf gesetzliche Feiertage ein.
  • Von 1933 an galt eine „6-Tage Arbeitswoche“.
  • Am 26. Juni 1940 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjet, zur klassischen „7-Tage-Woche“ zurück zu kehren.

 

5. Zählung der Stunden

Um 1300 – in Moskau herrschte der Großfürst Daniil, der Stammvater der Moskauer Großfürsten – wurde die Räder-Uhr erfunden.
Aber im täglichen Gebrauch waren bis in die Neuzeit „Elementar-Uhren“ im Einsatz. Es waren: Sonnenuhren, Sanduhren, Wasseruhren, Kerzenuhren.

Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts war es vom Atlantik bis zum Ural üblich, den Tag und die Nacht in je zwölf Stunden unterschiedlicher Länge aufzuteilen (horae inaequalis):
Gezählt wurden die Stunden jeweils von Sonnenaufgang bzw. von Sonnenuntergang, wobei der Sonnenaufgang als Beginn des neuen Tages galt.

 

Altmeppen russische Uhren - Lazar-Uhr
Lazar-Uhr

 

Durch die unterschiedliche Länge von Tag und Nacht im Verlaufe des Jahres verändern sich auch die Stundenlängen kontinuierlich: „Temporale Stunden“.
In Moskau mussten zur Sommer-Sonnenwende die 17 Stunden und 35 Minuten des lichten Tages und die 6 Stunden und 25 Minuten der Nacht sind in jeweils 12 „horae inequales“ eingeteilt werden.

Zur Messung der Temporalen Stunden musste die Hemmung der Uhren täglich zwei Mal umgestellt werden, damit die Uhr langsamer bzw. schneller lief:
Bei Sonnenaufgang auf die Länge der Tag-Stunden und bei Sonnenuntergang auf die Länge der Nacht-Stunden.
Und sie wurden wöchentlich angepasst an unterschiedlichen Längen von Tag und Nacht.

Die erste russische Räder-Uhr mit „Temporaler Stunde“ stammt von Lazar, einem Mönch aus dem Kloster von Athos. Er hat 1404 eine Turmuhr mit Waag und Gewichtsantrieb für den Kreml-Palast des Wassilij I., Großfürst von Wladimir und Moskau, gebaut.

–  „Nürnberger Uhr“

>  der helle Tag und die dunkle Nacht wurden getrennt gezählt.
Die Stunden haben die selbe Länge.
(Horae aequalis)

Uhren aus dieser Zeit:
„Horologium Moscoviticum“ >  1626  Turmuhr am Frolowskij-Turm

 

Altmeppen russische Uhren - Augustin Freiherr von Meyersberg Stadtplan Moskau von 1661
Altmeppen russische Uhren – Augustin Freiherr von Meyersberg – Stadtplan Moskau von 1661
Altmeppen russische Uhren - Meyersberg Die Froloffsche Uhr Horologium Moscoviticum
Meyersberg „Die Froloffsche Uhr“ / „Horologium Moscoviticum“

 

6. Räder-Uhr

Mit der Räder-Uhr bekam die „Zeit“ eine ganz neue Dimension.
Auf den Dörfern änderte sich zunächst wenig. Aber in den Städten wollten die Menschen wissen, wie spät es ist. Die Zeit und damit die Uhr bestimmten zunehmend den Tagesablauf.

Mit der Räder-Uhr begann auch die Zeit der Uhrmacher.
Valentin L. Chenakal, der damalige Direktor des Lomonosov-Museums der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Leningrad, nennt in seiner Abhandlung:
„Watchmakers and Clockmakers in Russia – 1400 to 1850“ für diesen Zeitraum 620 russische Uhrmacher.

Es waren insbesondere Peter I. und Katharina II., die Russland modernisierten und für Einflüsse aus dem Westen öffneten.
Die beiden wichtigsten Institutionen wurden:
–  die am 8. Februar 1724 gegründete „Akademie der Wissenschaft“ in St. Petersburg
–  das 1839 gegründete „Astronomische Observatorium Pulkowo“.

Die Akademie und das Observatorium gehörten schon bald zu den anerkanntesten wissenschaftlichen Institutionen in Europa. In den beiden Institutionen trafen sich führende Wissenschaftler aus ganz Europa. Und sie brachten neben vielen anderen Disziplinen auch die moderne Zeitmessung nach Russland.

Unter Katharina II. entstanden viele Handelskontakte westeuropäischer Uhrenfabriken mit Russland. Diese hatten Niederlassungen in den großen Städten und versorgten den Adel, hochrangige Beamte, die Eisenbahn und die reichen Bürger mit importierten Uhren in edlen Gehäusen.

Das Astronomische Observatorium in Pulkowo wurde zum Zentrum der russischen Präzisions-Uhren, denn für die Wissenschaft und auch für das Militär spielte die genaue Zeit eine zunehmend wichtige Rolle.

Von den Chronometer-Machern nenne ich nur ein Beispiel:
August und Alexander Ericsson haben weit über 1.000 Chronometer und andere Präzisions-Uhren an Marine Wissenschaft abgeliefert.
Davon kamen allein 1.000 Chronometer von Kullberg in England.

 

7. Die Uhr für Jedermann

Der einfache Mensch auf dem Land merkte davon nichts. Er hatte die Turmuhr an seiner Kirche. Lediglich Wecker wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts in großen Stückzahlen importiert – damit die Fabrikarbeiter pünktlich ihre Schicht beginnen konnten.

Aber nicht alle Uhren wurden legal eingeführt.
Das zeigt eine kleine Geschichte aus „ОГОНЕКЪ“

 

Altmeppen russische Uhren - ОГОНЕКЪ
„ОГОНЕКЪ“

 

Das änderte sich erst mit der „Entscheidung des Sowjets für Arbeit und Verteidigung über die Organisation der Uhrenproduktion in der UdSSR“ vom 20. Dezember 1927.

 

Altmeppen russische Uhren - Entscheidung
Altmeppen russische Uhren – Entscheidung

 

Es gab zwar schon mehrere Vorläufer einer Uhrenindustrie – wie der „Moskauer Elektro-Mechanische Betrieb (MEMZ) und der „Staatstrust für Feinmechanik“ – aber das reichte nicht für Versorgung der jungen Sowjetunion.

Eine Kommission unter Andrej Bodrow versuchte in Europa komplette 0Fabrikationseinrichtungen für eine russische Uhrenindustrie zu bekommen. Doch alle Versuche scheiterten, weil die europäische Uhrenindustrie ihren Absatzmarkt in Russland sichern wollte und keine russische Konkurrenz duldete.

Im Jahr 1929 kaufte Bodrow in den USA zwei komplette Uhrenfabriken, „Dueber-Hampden“ für die eigene Produktion von Taschenuhren und „Ansonia“ für Wecker und Großuhren.

Am 5. November 1930 wurden die Vorläufer der russischen Uhrenindustrie zur „2. Moskauer Uhrenfabrik“ zusammengeschlossen.

Als „Geburtstag“ der „1. Staatlichen Uhrenfabrik“ gilt der Beginn des 1. Geschäftsjahres am 1. Oktober 1930. An dem Tag begann die Produktion von Taschenuhren in Russland.

Am 7. November 1930, dem 13. Jahrestag der Oktoberrevolution, lieferte die „1. Staatlichen Uhrenfabrik“ das erste Kontingent von 50 Taschenuhren der „TYP 1“ in einem silbernen Gehäuse aus eigener Produktion aus.

 

Altmeppen russische Uhren - Wandplakat 1ГЧЗ 1930 - 1941
„Wandplakat 1ГЧЗ 1930 – 1941“

 

30 Jahre später war die Sowjetunion der weltweit größte Produzent von Uhren und jeder konnte sich seine eigene „Zeit am Handgelenk“ leisten.

 

8. Weltraum und Uhren

  • „Sputnik I“                            >  Oktober 1957, 19:28:34  (bis 4. Januar 1958)
  • „ДЕЗИК“ und „ЦЫГАН“    >  Juli 1951
  • Juri Gagarin >  April 1961

 

Altmeppen russische Uhren - ДЕЗИК
„ДЕЗИК“
Altmeppen russische Uhren - ЦЫГАН
„ЦЫГАН“

 

9. Das Erbe bewahren

Russland blickt zurück auf eine lange Geschichte, die Zeit zu messen:
> die Jahre,
> die Monate,
> die Wochen und
> die Stunden.

Sie dürfen stolz darauf sein.

Wir, ein kleiner Kreis von Freunden, machen uns Gedanken darüber, wie wir dieses Erbe für unsere Kinder bewahren können.

Das „ОГНИ  МОСКВЫ“ ist ein gutes Vorbild dafür.

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Ich habe diesen Vortrag in meinem Buch:

„Skizzen zur Geschichte der Zeitmessung in Russland / Kalender und Uhren“
in deutscher und in russischer Sprache
im Verlag „Historische Uhrenbücher“ im Jahre 2018 veröffentlicht

 

 

 

 

 

 

 

 

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