Eindrücke beim Hilfstransport mit Lastwagen nach Leningrad im Januar 1991
In den Jahren 1990/91 war die Versorgungslage in den großen Städten in Russland mehr als schwierig. In Deutschland gab es viele Aufrufe zu helfen und viele Konvois sind gen Osten gefahren.
Ich war damals Pressesprecher der „Hamburgische Electricitäts-Werke AG“ (HEW) und Hamburg war Partnerstadt von Leningrad. Unser Vorstand hat beschlossen, dass wir den Kolleginnen und Kollegen der Lenenergo, dem Energieversorger mit Strom und Fernwärme im Großraum Leningrad, helfen. Hans-Peter, ein Kollege, wurde nach Leningrad geschickt, um die Lage vor Ort zu erkunden. Wir bekamen die Information, dass Lenenergo etwa 15.000 Mitarbeiter hat.
Zusammen mit den Kollegen der Gaswerke (HGW) und dem uns verbundenen Energieversorger in Schwerin (WEMAG) haben wir Geld für die Paketaktion gesammelt – und das mit einem legitimen Trick: Die Betriebsräte sind Anfang Dezember 1990 durch alle Büros, von Tür zu Tür, gegangen mit einer Spendenerklärung über 50 oder 100 D-Mark. Und das mit dem Hinweis, dass keiner sein Portemonnaie öffnen müsse – Der Betrag würde von Weihnachtsgeld abgebucht werden. Diese Vorgehensweise war erfolgreich. Es kamen 200.000 D-Mark an Spendengeld zusammen und der Vorstand hat auf nachhaltiger Empfehlung von den Betriebsräten und der Belegschaft diesen Betrag verdoppelt.
Von diesem Geld haben wir Lebensmittel für 11.500 Pakete und medizinische Güter gekauft.
Unsre Azubis haben die Pakete gepackt. Und als Pressesprecher wollte ich, dass Zeitung, Funk und Fernsehen darüber berichten. Also habe ich für den zweiten Tag der Packaktion eine Pressekonferenz einberufen – aber das war ein Fehler.
Das Pack-Team hatte in einer unserer großen Hallen „Schützenfest-Tische“ aufgebaut. Jeder Azubi hatte sein einzelnes Stück, das er an klar definierter Stelle in den Karton zu legen hatte. Und dann schob er den Karton um eine Position weiter. Damit hatten wir ein geniales Fließband – und am Ende des langen Tisches war alle drei Sekunden ein Paket gepackt.
Ich musste die Packaktion bei 11.000 fertigen Paketen unterbrechen, damit die Journalisten am nächsten Tag noch Ihre Aufnahmen machen konnten.
Ich hatte in jedes Paket einen Brief in russischer Sprache legen lassen. Darin habe ich russischen Kindern angeboten, mit Kindern unserer Mitarbeiter ein Brieffreundschaft zu schließen.
Bei der feierlichen Verabschiedung in Leningrad saßen in der letzten Reihe des Saals mehrere Frauen. Unter ihnen war auch Irina mit einem Stapel von Briefen, die sie mir überreichte. Auf Englisch sagte sie, das ist für Eure Kinder in Hamburg.
Ich fragte Irina, ob auch ein Brief von ihrem Kind dabei sei und sie antwortete: Von meinen beiden Söhnen. Die beiden Briefe nahm ich an mich und daraus ist eine wunderbare Freundschaft mit meinem Sohn entstanden – zu seinem 16ten Geburtstag, im Herbst 1993, bin ich mit meinem Sohn nach St. Petersburg, wie das ehemalige Leningrad wieder hieß, gefahren und Irina war unsere Gastgeberin. Die Freundschaft hielt mehr als zehn Jahre.