Altmeppen russische Uhren

Meine Rede zum Internationalen Kongress in Angarsk, 10. Juni 2022

 

Altmeppen russische Uhren - Plakat

 

Meine Rede zum Internationalen Kongress in Angarsk, 10. Juni 2022

 

Meine Damen und Herren,
liebe Freunde,

Sie haben in dem Video gesehen und gehört, was ich Ihnen zu sagen habe und was meine Herzensangelegenheit ist.
Das Drehbuch für dieses Video hat Oksana Skugareva geschrieben. Und sie hat daraus ein kleines – nein – ein großes Wunderwerk geschaffen.

Gestatten Sie mir dazu ein paar weitere Bemerkungen, die mich bewegen.

In mir lodert ein Feuer für Uhren aus der sowjetischen Zeit. Und ich möchte ein paar Anmerkungen zu meiner Geschichte hinzufügen, um auch in Ihnen ein Feuer zu entfachen.
Dazu einige Punkte, die mir wichtig erscheinen, um die Entwicklung der Uhren zu verstehen.

Jede Uhr hat eine typische Form, ein Zifferblatt und ein Rückdeckel, der oft beschriftet ist. Das zulässt aber nur bedingt aussagen zu. Deswegen habe ich jede Uhr, die ich in meinen Händen hielt, sofort geöffnet, um das Innere zu betrachten. Denn die Konstruktion des Uhrwerkes und die Gravuren auf verschiedenen Bauteilen der Uhr sind ein „Geschichts-Buch“, das hilft, die Uhr zeitlich und örtlich zuzuordnen.

So habe ich es auch mit meinen ersten „Kirowka“, die ich in Leningrad erworben habe, gemacht. Dabei habe ich festgestellt, dass sie ein deutlich unterschiedliches „Innenleben“ hatten.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 1 Kirowka
Bild 1 – „Kirowka“

 

Das hat mich gereizt und es hat mir keine Ruhe gelassen, denn zu Anfang der 1990er Jahre gab es keine Literatur über Russische Uhren. Aber es gab in Hamburg und in Berlin viele Händler auf den Antikmärkten, die russische Uhren angeboten haben. Ich habe alle Händler beauftragt, für mich nach den Tasche-Uhren des Typs „Kirowka“ zu suchen.

Schon einige Monate später hatte ich mehr als 100 „Kirowka“ in meiner Sammlung. Ich habe sie nebeneinander gelegt und mit Hilfe der Marken auf den Uhrwerken eine Systematik entwickelt – nach Ort und Zeit ihrer Herstellung.

Dazu gibt es eine schöne Geschichte:
Viele besondere Erlebnisse mit Uhren für meine Sammlung hatte ich in Moskau auf dem Antik-Markt „Vernisage“. Dort habe ich mich mit meinen Freunden, die das gleichen Hobby haben wie ich, regelmäßig getroffen, denn ich war ein bis zwei Mal pro Jahr in Moskau war.
Sjewa war der Spezialist unter den Händlern. Und wenn er ein besonderes Stück für meine Sammlung erworben hatte, dann bewahrte er es für mich auf und gab es mir.
Nur einmal sagte Sjewa zu mir, dass er eine ganz besondere „Kirowka“ hatte. Es war eine signierte Uhr der Zweiten Moskauer Uhren-Fabrik aus den Kriegstagen. Aber er habe sie verkauft.
Eine halbe Stunde später traf ich Leonid auf dem Markt. Er ist der Experte für Russische Uhren aus der Zaren-Zeit. Leonid lud mich auf einen Tee ein. Dann zeigte er mir mit einem Lächeln die signierte „Kirowka“ – und er sagte: Die ist für Dich und Deine Sammlung. –
Heute liegt sie hier um Museum.

Auf meiner Homepage www.dg-chrono.de habe ich mein Wissen über die „Kirowka“ mit vielen Bildern veröffentlicht.

Die Buch-Fassung habe ich in meiner Serie: „Skizzen zur Geschichte der Zeitmessung in Russland“ mit dem Untertitel:  > Vom Hampden „Modell 5“ zur TYP 1 – „Kirowka“ < im Jahre 2021 publiziert.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 2 - Uhren-Magazin
Bild 2 – Titelblatt „Uhren-Magazin“

 

Die Recherche alleine hat mir jedoch nicht gereicht. Und so habe ich im „Uhren-Magazin“, einer Fachzeitschrift für Uhren und ihrer Geschichte, in den Jahre 1998 und 1999 meine Serie „Zeitgeschichte der russischen Uhren“ veröffentlicht – in 15 Ausgaben mit mehr als 150 Seiten und 450 Abbildungen.

Ich wollte mein Wissen an andere weiter geben.
Nach mehrjähriger Recherche habe ich dann im Jahre 1972 mein erstes Buch veröffentlicht: Altmeppen/Dittrich: „Das Deutsche Einheits-Chronometer“. Darin beschreibe ich das von der Firma „Wempe“ entwickelte „3-Pfeiler-Werk“ in allen Einzelheiten.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 3 - Titelblatt DEC
Bild 3 – Titelblatt DEC

 

Die Pläne für dieses Werk und mehrere hundert Werke dieses „Einheits-Chronometer“ wurden nach dem Krieg nach Moskau gebracht. Dort wurden einige Modifikationen vorgenommen – ich bin in meinem Video darauf eingegangen. Auf mehr als 40 Seiten beschreibe ich auch das in Moskau modifizierte „6 MX“.
Das „3-Pfeiler-Werk“ wird heute noch gebaut. Bei „Wempe“ und in Moskau von der „Uhren-Manufaktur 6MX“, der ehemaligen „Abteilung 13“ der „1. Moskauer Uhren-Fabrik“ / „Poljot“.

Ich freue mich, dass ich Larisa Mihaylovna Martynova , die Direktorin der „Uhren-Manufaktur 6MX“, und Alexej Tkaschenko, den Direktor für Entwicklungen, auf dem Flug von Moskau nach Irkutsk begleiten durfte und sie hier begrüßen darf.

Im Jahre 2020 habe ich in einem russisch/deutschen Uhrenbuch in meiner Serie mit dem Untertitel „Schiffe und Uhren“ neben vielen anderen Uhren und technischen Geräten für Schiffe auch das russische Marine-Chronometer „6 MX“ beschrieben.

Wenn man sich mit russischen Uhren beschäftigt, taucht irgendwann auch die Frage auf:
Wie war das damals mit der Zeit-Messung?
Russland hat eine äußerst wechselvolle Geschichte der Zeitmessung und der Kalendarien.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 4 - Lazar-Uhr
Bild 4 – Lazar-Uhr

 

Als „Lazar“, ein Mönch aus dem Kloster Athos, im Jahre 1404 die erste russische Räder-Uhr für den Kreml-Palast für Wasslij I., Großfürst von Wladimir Moskau, baute, galt in Russland noch die sogenannte „Temporale Stunde“ („horae inaequales“). Die Stunden wurden jeweils von Sonnen-Aufgang und von Sonnen-Untergang gezählt jeweils in zwölf Stunden unterschiedlicher Länge aufgeteilt. Durch die unterschiedliche Länge von Tag und Nacht im Verlaufe des Jahres veränderte sich auch die Länge der Stunde kontinuierlich.

In Moskau mussten zur Sommer-Sonnenwende die 17 Stunden und 35 Minuten des lichten Tages und die 6 Stunden und 25 Minuten der Nacht in jeweils 12 „horae inaequales“ eingeteilt werden.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 5 - Horologicum Moscoviticum
Bild 5 – „Horologium Moscoviticum“

 

Mehr als 200 Jahre später, von 1621 bis 1626 baute der Engländer Christopher Halloway eine neue Turm-Uhr für den Frolowskij-Turm im Moskauer Kreml. Das Besondere an dieser Uhr ist das Zifferblatt, das „Horologium Moscoviticum“. Es hat einen Durchmesser von fünf Metern und in alt-russischen Buchstaben eine Anzeige von 17 Stunden.
Die „Frolowsche Uhr hat gleich lange Stunden („horae aequales“) angezeigt. Gemessen wurde von Sonnen-Aufgang bis Sonnen-Untergang und in der Nacht.

Zar Peter I. bestellte für den „Spasskij-Turm“ eine neue Uhr. Und mit seiner Kalender-Reform befahl er die bisherige Einteilung in Tag- und Nacht-Stunden durch „die in Deutschland übliche Einteilung in zweimal 12 Stunden“ zu ersetzen.
Am 9. Dezember 1706 um 9 Uhr früh waren erstmals von der Uhr des Spasskij-Turms neun Schläge zu hören. Und mittags um 12 Uhr erklang ein Glockenspiel – etwas in Moskau ungewohnt Neues.

In der Geschichte der Menschheit hatten viele Kulturen eigene Kalendarien. Jeder Kalender hatte seine Besonderheiten. Der Beginn der Zeitrechnung war in den jüdischen und christlichen Kulturen der Zeitpunkt, an dem Gott die Welt erschaffen hat. Nach der Byzantinischen Zeitrechnung hat Gott die Welt im Jahre 5508 vor Christi Geburt erschaffen.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 6 - Wand-Kalender Jan. 1903 Gregor. u. Julian.
Bild 6 – Wand-Kalender von 1903

 

Peter I. führte mit einem Erlass vom 19. August 7208 / 19. Dezember 1699 – mit Rücksicht auf die Russisch Orthodoxe Kirche – den „Julianischen Kalender“ ein: Der Jahreswechsel wurde vom 1. September auf den 1. Januar verschoben. Auf den 31. August des Jahres 7208 folgte des 1. Januar 1700.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 7 - Kalender 1919
Bild 7 – Kalender 1919

 

Lenin hat dann den „Gregorianischen Kalender“ eingeführt. Auf den 31. Januar 1918 folgte der 14. Februar 1918. Dadurch „wanderte“ zum Beispiel der Tag der Oktober-Revolution vom 25. Oktober auf den 7. November.

Lenin verfolgte mit seiner Kalender-Reform auch ein sehr profanes Ziel:
Die russischen Arbeiter in Moskau sollten im Jahre 1918 den „Tag der Arbeit“, den 1. Mai, auch kalendarisch am selben Tag wie die Arbeiter in Berlin, Paris und London feiern können.
Die Russisch Orthodoxe Kirche lehnte dies Kalender-Reform für ihre kirchlichen Feiertage ab. So „wanderte“ der 1. Weihnachtstag vom 25. Dezember auf den 7. Januar.

Stalin hat im Oktober 1929 seinen „Revolutions-Kalender“ eingeführt.

Dazu gibt es eine weiter schöne Geschichte:
Ich hatte Galina, meine Gastgeberin in St. Petersburg gefragt, ob sie den „Revolutions-Kalender“ kenne. Sie kannte ihn nicht – aber sie sagte, dass wir im Museum der Peter-Pauls-Festung in St. Petersburg nachfragen könnten. Das taten wir. Aber auch die Expertin im Museum kannte das Stichwort nicht. Sie sagte uns, dass wir am nächsten Tag wiederkommen sollten. Und 24 Stunden später bekam ich dann viele Dokumente zu Stalins Revolutions-Kalender.
Genau das gleiche Erlebnis hatten wir in der Russischen National-Bibliothek in St. Petersburg.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 8 - 1930 5-Tg-Schicht Symbole
Bild 8 – Tabellarischer Kalender 1930

 

Stalin wollte zu Beginn des 1. „Fünf-Jahres-Plan“ (1928 – 1932) die Produktion erhöhen und sich vor allem von der Kirche lösen und den „heiligen Sonntag“ abschaffen.
Für die Zeit vom Oktober 1929 bis 1932 führte Stalin eine „5-Tage-Arbeitswoche“ und fünf gesetzliche Feiertage ein. Die verbleibenden 360 Tage teilte Stalin in 72 Arbeits-Wochen zu je 5 Tagen ein.
Die Arbeiter hatten einen 7-Stunden Arbeitstag. Sie erhielten einen bezahlten Urlaub von 12 Arbeits-Tagen.

 

Altmeppen russische Uhren - Bild 9 - 1938 6-Tg-Schicht
Bild 9 – Tabellarischer Kalender 1938

 

Im Jahre 1933 führte Stalin die „6-Tage-Arbeitswoche“ ein.
Auf die komplizierten Details werde ich an dieser Stelle nicht eingehen.

Am 26. Juni 1940 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjet zur klassischen „7-Tage-Woche“ zurückzukehren.

Am 1. November 2017 durfte ich in Moskau, im Museum „Lichter Moskaus“, vor einem großen Kreis von Experten und Liebhabern einen Vortrag halten.
Daraus ist im Jahre 2018 ist mein erstes russisch/deutsches Buch in meiner Serie: „Skizzen zur Geschichte der Zeitmessung in Russland“ erschienen.
Es hat den Untertitel: „Kalender und Uhren“.

Ein Jahr später habe ich zusammen mit Dmitri Troschin ein zweites russisch/deutsches Buch geschrieben. Es hat den Untertitel: „LIP-Erbe – K 43 / Swesda / Pobeda“.

Frederic Lipmann hatte im Jahre 1937 drei Uhren-Fabriken mit allem Zubehör an Russland verkauft. In diesem Buch haben wir alle Uhren, die in Russland aus dem LIP-Erbe gebaut wurden, bebildert und beschrieben – darunter waren etwa 180 Uhren aus meiner Sammlung.
Und im Jahre 2019 flogen mein Moskauer Freund Alexander und ich nach Angarsk. Dort habe ich das Buch und die Uhren aus meiner Sammlung dem Städtischen Uhrenmuseum in Angarsk geschenkt.

Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft mit Vera Pawlowets, der Direktorin des Museums, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Der Empfang im Museum war so herzlich, dass ich beschlossen habe, dem Museum meine gesamte Sammlung russischer Uhren zu schenken.

Das Feuer in mir für russische Uhren brennt noch. Es ist wie ein Virus, gegen den es keine Impfung gibt. Und arbeite ich an zwei weiteren russisch/deutschen Büchern.
Für 2022 plane ich ein Buch mit dem Untertitel: „Flugzeuge und Uhren“.
Und im nächsten Jahr geht es weiter.

Ich habe dem nur eines hinzuzufügen – und das kann ich in einem Wort ausdrücken:

СПАСИБО  —  СПАСИБО  БОЛЬШОЕ

Ich danke Ihnen, dass ich hier sein darf, hier, wo ein Traum, den ich seit vielen Jahren träume, in Erfüllung gegangen ist.

Einen besonderen Dank schulde ich Vera Pawlowetz und Oksana Skugareva.
Vera hat meine Schenkung an das Museum von Anfang an sehr wohlwollend begleitet.
Oksana hat alles das, was Sie hier sehen können, mit viel Liebe zum Detail ermöglicht.

Bürgermeister Petrow hat mir gegenüber, immer wenn ich Angarsk war, ein großes Interesse an der Sammlung russischer Uhren in seinem Städtischen Museum gezeigt – und er hat es gefördert.
Dafür, Herr Bürgermeister, ein herzliches Danke.

Alexander Karasjuk und Irina Stepanowa haben im Jahre 2019 meine ersten Schritte in Angarsk vorbereitet. Ohne sie hätte ich meine Idee nicht umsetzen können.
Danke, Irina und Alexander.

Ich hatte große Schwierigkeiten beim Transport meine Uhrensammlung nach Angarsk.
Auf dem „normalen“ Weg mit der deutschen Post hat es nicht funktioniert.
Dann hat Inna Verjbitskaia mir den Kontakt zu Pawel Izvolsky, dem Direktor des „Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur“ in Berlin vermittelt.
Auf seine Anregung kam Vera Pawlowetz nach Berlin und wir haben gemeinsam einen Vertrag unterzeichnet. Die Russische Post hat dann 38 Kisten und Kartons mit Uhren und technischen Geräten von Berlin nach Angarsk gebracht.

Das Museum und die Stadt haben mich immer sehr herzlich aufgenommen.
Ich fühle mich als Mitglied im Team des Museums und als Bürger der Stadt Angarsk.

Mein Lebenswerk ist jetzt abgeschlossen. Ich habe es in würdige Hände übergeben.
Ich habe Bücher geschrieben über Uhren aus der Zeit der Sowjetunion und deren Geschichte –
aber ich habe viele offene Fragen hinterlassen.
Ich habe ein Fundament gelegt – und bin sicher, dass es andere gibt, die mein Werk fortführen.

Und auch dafür mein  СПАСИБО  БОЛЬШОЕ

 

 

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